Folgende neurobiologische Strukturen im Gehirn spielen bei der Verarbeitung von sensorischen Reizen eine Rolle:
- das limbische System mit Amygdala ("Mandelkern") zur Zuordnung der Bedeutung des Reizes
- der Hippocampus ("Seepferdchen") als kognitive Weltkarte
- der Thalamus als Schaltstelle für sensorische Informationen
- der Kortex ("Hirnrinde") als Verarbeitungszentrum
Wie können wir uns nun die "normale" Verarbeitung äußerer Reize vorstellen?
Ein sensorischer Reiz wird zunächst unmittelbar zum Thalamus und anschließend zur Amygdala weitergeleitet. Je nach Bedeutung des Reizes aktiviert die Amygdala neuro-chemische Vorgänge, zum Beispiel Noradrenalin und Adrenalin für Kampf- und Fluchtreaktionen.
Bei einem "normalen" Reiz jedoch geht man davon aus, dass das sogenannte "cool system" aktiviert wird. Die Information gelangt von der Amygdala in den Hippocampus ("kognitive Weltkarte"), wird dort eingeordnet und gelangt in den Kortex. Hier wird die Information in vorhandene Erfahrungen und Erinnerungen integriert und damit verarbeitet.
Francine Shapiro nennt diese Integration zugleich eine Bereitstellung angemessener Lösungen: Es wird die Verbindung zu adäquaten Assoziationen hergestellt. Die betreffende Person nutzt die Erfahrung konstruktiv und integriert sie in ein positives emotionales und kognitives Schema. Alles Nützliche wird gelernt, mit einem entsprechenden Affekt gespeichert und steht dann zur künftigen Nutzung bereit (Shapiro 2013).
Beispiel: Wir erleben etwas Negatives wie eine Demütigung in unserem Beruf, und dieses Erlebnis macht uns zu schaffen. Wir denken darüber nach, wir träumen davon und wir reden darüber. Nach einer Zeit regt uns das Erlebte nicht mehr auf und wir können es als Information nutzen und künftig in unser Handeln einbeziehen. So lernen wir etwas über uns selbst und über andere Menschen, wir verstehen Situationen der Vergangenheit besser und sind in Zukunft besser in der Lage, mit ähnlichen Situationen umzugehen.
Wenn Erfahrungen im Moment der Erlebens zu belastend sind, kann offenbar der Gleichgewichtszustand im Nervensystem gestört werden. Als Grund kommen Veränderungen der Neurotransmitter- und Adrenalinproduktion und ähnliche Faktoren infrage. Zunächst erfolgt der typische Ablauf: Der Thalamus nimmt die Information auf und leitet sie zur Amygdala. Wird die Information als "heiß" bewertet, geschieht eine Notfallreaktion mittels Cortisol (Sachsse 2003). Wenn nun Kampf- oder Fluchtreaktionen durch die Situation blockiert werden (durch Vergewaltigung oder Ohnmacht vor der Schulklasse usw.), bleibt der Organismus in einer nicht zu Ende gebrachten Stressreaktion stecken (Münker-Kramer 2015): der Totstell-Reflex setzt ein. Man kann auch sagen, no fight and no flight führt zu freeze (Huber 2009).
Durch diese Störung kann das System seine Aufgabe nicht erfüllen, sodass die im Moment des Erlebens aufgenommenen Informationen - Bilder, Klänge, Affekte und Empfindungen - in ihrer belastenden Form gespeichert werden.
Dieses Material kann nun durch eine Vielzahl innerer und äußerer Stimuli aktiviert ("getriggert") werden.
Die Wirkungsweise der im EMDR typischen bilateralen Stimulation durch Augenbewegungen ist nach wie vor Gegenstand der Forschung. Man weiß aus Studien von Sack, dass der Beginn der bilateralen Stimulation eindeutig eine Aktivierung des Parasympathikus (dem Ruhenerv des vegetativen Nervensystems) in Gang setzt, das heißt physiologisch beruhigend wirkt (Münker-Kramer 2015).
Dies scheint die Verarbeitung von Informationen im Kortex zu begünstigen: Einsicht und Integration stellen sich ein.
Zusammenfassung: Auch wenn die Effektivität von EMDR inzwischen unbestritten ist, wissen wir noch nicht eindeutig, wie die genauen neurochemischen Prozesse der Hirnareale stattfinden. EMDR gilt als eine der am besten beforschen psychologischen Methoden (Münker-Kramer 2015).
Quellen:
- Münker-Kramer, Eva: Traumazentrierte Psychotherapie mit EMDR, München: Ernst Reinhardt Verlag 2015.
- Shapiro, Francine: EMDR - Grundlagen und Praxis, 2. Auflage, Paderborn: Junfermann Verlag 2013.